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Am
See und im Schnee
I.
Am See.
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 7
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Kapitelanfang der Weihnachtsgeschichte ]
Fliegenpilze in leuchtendem Scharlach hervor, und hie und da standen ganze
Gesellschaften anderer Pilze, braun oder golden oder auch weiß,
glänzend wie Porzellan. In der Höhe löste sich zuweilen ein
reifes, welkes Blatt; man wusste nicht warum, bei der allgemeinen Stille der
Luft. Vielleicht, weil ein Sonnenstrahl es traf, oder eine Mücke
vorübersummte. Dann flatterte es langsam herab, leuchtete noch einmal auf
in einem Sonnenstreif, verblasste wieder im Dämmer und legte sich lautlos
zu den übrigen. Die Füße Hellas rauschten dahin über diese
weiche Decke, die von vielen Herbsten dort aufgespeichert war, zuweilen schrie
ein Specht, zuweilen tönte das feine "Sit, fit" eines
Baumläufers, zuweilen schlüpfte eine rotbraune Waldmaus mit leisem
Rascheln in das schützende Loch, dazwischen war immer wieder das
träumerische Schweigen eines schönen, windstillen Herbsttages.
Düstere Fichten lösten dann das auf schimmernden Säulen
emporragende Hallendach des Buchenwaldes ab. Dahinter tönte plötzlich
ein anhaltendes Rufen von wilden Enten; dort musste sich der See befinden Der
grasbewachsene Weg, auf dem Hella jetzt leise dahinschritt, machte eine
Biegung, und nun lag in Glanz und Schimmer plötzlich das freundliche
Gewässer vor ihr. Sie trat näher zum Ufer, da standen mit lautem
Klatschen hinter einer kleinen Rohrbreite eine Anzahl von Enten auf, um zu
einer entfernten Stelle des Sees zu flüchten, sie hörte genau das
taktmäßige Pfeifen ihrer schweren, aber schnellen
Flügelschlägen. Zwei scheue Reiher schwankten in der Ferne auf
mächtigen, grauen Schwingen um eine bewaldete Landzunge, und ein
Kragentaucher war plötzlich von der Wasserfläche verschwunden, um
nach einer langen Weile an einer weit entlegenen Stelle wie durch Zauber wieder
da zu sein. Die Wellenringe des aufgestörten Wassers schwangen sich in die
Weite, allmählich verschwimmend, und bald wieder war der See so glatt wie
Glas und schien einzig darauf bedacht, seine buchtigen, in allen Farben des
Herbstes schimmernden Waldufer so genau wie möglich abzuspiegeln.
Die Mooshütte war noch da, aber vernachlässigt und verfallen, doch
von den Rasenbänken sah man nur verschwommene Überreste,
überwuchert von hohem Gras und jungem Buschwerk. Es schien, als sei dieser
Platz seit Hellas Kinderzeit niemals wieder benutzt worden und in Vergessenheit
geraten. Das junge Mädchen ging an den hohen Ufervorsprung, zögerte
ein wenig und sah sich um, rief dann aber mutig ihren Namen über den See
hinaus: "Hella!" - Sie erschrak doch ein wenig, als ihre Stimme die
Einsamkeit durchbrach und von den Waldbuchten her einige Male klar und deutlich
der Ruf zurückkam. Dann lächelte sie aber gleich wieder: "Es ist
man bloß das Echo." - Sie dachte jetzt an die Rückkehr und
schlug eine andere Richtung ein, um auf einem neuen Wege den
"Vogelsang" wieder zu gewinnen. Als sie deshalb zu einem
Wiesenstreifen am Ufer des Sees hinabstieg und dort entlang ging, ward sie
durch ein plötzliches Rascheln erschreckt, und zugleich erblickte sie eine
große Ringelnatter, die sich an ihr vorbei eilig durch das Gras wand und
dem mit Weiden vermischten Uferschilfe zustrebte. Nun ward es ihr höchst
unbehaglich in dieser Gegend, denn obwohl hier jetzt keine giftigen Schlangen
mehr vorkommen sollten, wie sie das den alten Forstmeister und Freund ihres
Vaters vielfach hatte versichern hören, so waren ihr doch diese
unheimlichen Tiere auch ohne Giftzahn immer sehr verdächtig und
unangenehm. Sie erinnerte sich zwar auch an Fritzens Ausspruch von den
Schnaken, die am Seeufer vorkämen und unschädlich seien, allein
besser erschien es ihr doch, diese Gesellschaft zu meiden. Da nun gerade eine
Art von Fußsteig auf die Höhe des Uferabhanges zu führen
schien, so eilte sie dort hinauf und streifte hastig durch Hasel - und
Dorngesträuch dahin. Aber mit dem Wege war es nur Schein gewesen, bald
musste sie sich mühsam durch die Büsche winden, dornige Zweige
griffen nach ihrem Kleide und hielten sie auf, und dann, als sie endlich von
einem alten Baumstumpf aus mit einem kleinen Sprunge das Freie gewinnen wollte,
gab das morsche Holz nach, sie glitt aus, erreichte zwar noch eben das
gewünschte Ziel, blieb jedoch mit der Schleppe ihres Reitkleides oben an
den Dornen hängen, so dass sie dicht an den Busch gedrängt
vollständig gefesselt dastand. Ohne sich den Anzug vollständig zu
zerreisen, wusste sie sich nun kaum zu helfen, denn die Wendung, die sie machen
musste, um ihre Fesseln zu lösen, spannte das Kleid nur immer noch fester
an.
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