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Eine
Weihnachtsbescherung
Weihnachtserzählung
von Paul Heyse - Seite 13
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Anfang der Weihnachtserzählung ]
Diese zweifelnden Gedanken kreuzten hin und her durch das helldunkle Gehirn des
betrübten Mannes, bis ihm endlich alles Denken verging. Aber zu seiner
eigenen Bestürzung ward er inne, dass sich die gerührte Stimmung, die
ihn bei seinen früheren Besuchen hier stets überkommen hatte, heute
trotz des besten Willens nicht einstellen wollte. Er suchte vergebens, sich das
Bild der Entschlafenen, durch die Erinnerung an all ihre trefflichen
Eigenschaften verklärt, in der Seele wachzurufen - es blieb ein dunkler
Umriss, ohne gegenwärtige Lebensfülle, fast nur ein Name und ein
Schatten, der immer nebelhaftere Formen annahm, je eifriger er ihn
heranzulocken strebte. Statt dessen aber - er erschrak, da er sich's endlich
nicht mehr verleugnen konnte - war ganz heimlich der gefährliche Spuk aus
der Lilienstraße ihm wieder auf den Leib gerückt, und zu seiner
bittersten Beschämung musste er erleben, dass er, während er, um sich
dagegen zu waffnen, die Inschrift vom Kreuz ablas, den Namen der Anderen
beständig mit sanftem Schmeichelklang in seinem Ohre summen hörte.
Nein! So durfte es nicht fortgehen! Er, ein Soldat von dreißig
Dienstjahren, sich unterkriegen lassen von einem schlauen Feinde im Unterrock,
als ob ihm nicht bloß die drei Finger an der linken Hand, sondern der
bekannte Muskel unter seiner linken Rippe weggeschossen wäre? Sich wie ein
großes Wickelkind in Zephyrwolle einspinnen lassen und am Ende gar
hinterm Ofen des Strumpfwarenlädchens seine Tage müßig
verhocken und Nichts weiter verrichten, als abends Kassensturz halten und die
Tageseinnahmen in ein Büchlein kritzeln? Himmelkreuzschockschwerenot - das
das ruhmlose Ende eines kgl. preußischen Wachtmeisters, der das eiserne
Kreuz und die Kriegsmedaille von 66 trug und an den hübschesten
Französinnen ungerührt vorbeigegangen war, als an der
seelenverderblichen Brut des Erbfeindes? Und das Alles bloß, um nicht die
Neige in seinem Lebensbecher einsam auszunippen, was freilich ein schlechtes
Vergnügen war, aber immerhin besser, als sich frisch einschenken zu lassen
von einer Mundschenkin, die ihm böse Augen machen würde, wenn er sie
in der Zerstreuung Rosel statt Hannchen riefe? Und das würde unfehlbar
geschehen. Denn hatte ihn die Selige nicht kurz vor ihrem letzten Atemzug
gebeten: Fritze, vergiss mir nicht! und hatte er ihr je etwas abschlagen
können? Nein, und tausendmal Nein: was der neunmalkluge Liborius auch
spottete und achselzuckend mochte: die Rosel wusste noch Bescheid um ihn, sah
ihm, wie bei ihren Lebzeiten, durch Mantel und Waffenrock gerade ins Herz, und
es war eine Sünde und Schande für ihn, was sie in dieser Stunde alles
darin hatte sehen müssen. Fort mit dem blauäugigen, rotbäckigen
Frauenzimmer, das sich da eingeschlichen hatte, wo Niemand wohnen durfte, als
eine einzige, leider zu früh verewigte Person, die zwar nicht die
Schönste ihres Geschlechts gewesen war, aber eine richtige Wachtmeisterin,
bis in ihr letztes Stündlein ihm so treu, wie er selbst seinem obersten
Kriegsherrn, und die nicht einen Augenblick daran gedacht haben würde,
wäre er vor ihr gestorben, ihm einen Nachfolger zu geben, und wenn der
Hauptmann selbst seine Augen auf das forsche Frauenzimmer geworfen hätte.
Auf einmal wurde ihm so leicht ums Herz, wie einem Teufelsbeschwörer, der
durch kräftige Exorcisation eine Legion unsauberer Geister in die
Hölle zurückgebannt hätte. Er nahm die Mütze ab, faltete
die Hände und betete halblaut ein Vaterunser, ohne sich was Anderes dabei
zu denken, als dass jetzt irgend etwas Geistliches am Platze sei. Sodann zog er
ein Schächtelchen Zündhölzer aus der Tasche und zündete die
Wachslichter am Baum eins nach dem andern sorgsam an, was ihm auch gelang, da
ja der Wind durch die Mauer und das Grabkreuz abgewehrt wurde. Wie er damit
fertig geworden war, stand er in stiller Betrachtung vor dem hellfunkelnden
Weihnachtsbäumchen, dessen Glanz auch die Inschrift am Kreuz wie frisch
vergoldet erscheinen ließ. Es war nun ganz friedlich in seinem Innern,
und er empfand nicht einmal, wie der scharfe Frost seine erfrorenen Zehen
angriff, da er im Schnee unbeweglich stand. Ringsum war eine so tiefe Stille,
fast hätte man die Engel singen hören hoch oben im Sternenäther,
ihre alte ewige "frohe Botschaft." Was war aber das? Was für ein
Ton durchbrach plötzlich diese himmlischen Akkorde, sehr an irdisches Weh
gemahnend, ein
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