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Eine
Weihnachtsbescherung
Weihnachtserzählung
von Paul Heyse - Seite 6
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Anfang der Weihnachtserzählung ]
Kaum aber war er auf dem Treppenabsatz des dritten Stockwerks angelangt, wo an
einer niedrigen Tür, jetzt in der Dunkelheit freilich unlesbar, der Name
seiner alten Freundin stand: "Karoline Weber, approbierte Hebamme",
so stockte ihm der Fuß, und er besann sich, ob er nicht wieder
hinaufklimmen und mit etlichen guten Worten die offenbar gekränkte
redliche Seele versöhnen sollte. Gut hatte sie's doch mit ihm gemeint, auf
ihre Weise. Was konnte sie dafür, dass das nicht seine Weise war? Und ihr
Kaffee war gut gewesen, und die Stolle gewiss auch, und dass er nicht für
das Süße war, dafür konnte sie ja nicht. Und wenn sie wirklich
hier auszog, war er dann nicht freilich ganz verlassen und verloren und hatte
Niemand, ihm seine Strümpfe zu stopfen? Sie hatte Recht, er brauchte
Jemand, der nach ihm sah und ihn proper hielt, wie es die Rosel getan hatte,
und neue Strümpfe brauchte er auch. Aber musst es gerade die Frau Hannchen
Hinkel sein, gleich eine neue Frau Wachtmeister oder Frau Kassenbotin? Dass die
Weiber doch alle, selbst die Besten, das verdammte Kuppeln nicht lassen
können! Mehr als einmal hatte sie ihm schon nach dem Laden in der
Lilienstraße hingewinkt, und er hatte den Dummen und Taubstummen gespielt
und es ihr nicht weiter über genommen. Aber so ein Wink mit dem Zaunpfahl,
an dem sechs Paar wollene Socken hingen - und gerade heut am Heiligabend - das
war ihm denn doch zu bunt, und wenn sie ihn jetzt für einen alten
Bären verschrie - nur zu! Er wollt's auch sein, wenigstens was das Brummen
betraf, wenn er's auch nicht zum Kratzen oder Beißen kommen ließ -
aber merken sollte sie sich's. - Himmelkreuz - ! er wollte seine Ruhe haben,
und die arme Selige sollte sich nicht in ihrem kalten Bett herumdrehen
müssen, wenn sie dahinter kam, was für Absichten man auf ihren Fritz
Hartlaub hatte, ohne dass er mit einem Donnerwetter dazwischen fuhr und das
nach ihm ausgeworfene Netz zerriss, aus wie feinen Fäden einer
neuerfundenen silbergrauen Wolle es auch gewoben war. Also umfasste er mit
seiner Bärentatze das Stämmchen des Christbaums nur um so fester,
tastete mit der verstümmelten Linken an der Wand entlang und schritt
vorsichtig den dunklen Stiegenflur hinab, dass die morschen Holzstufen unter
seinem kriegerischen Tritt erkrachten.
Wie er auf die Straße hinauskam, pfiff ihm eine schneidender Ostwind ins
Gesicht, Das focht ihn aber wenig an, außer dass er das Bäumchen
dagegen zu verwahren suchte, damit keine der kleinen Kerzen abgeknickt
würde. Es schlug acht Uhr von den Türmen der Stadt, die Straße
aber war trotz des klingenden Frostes, der den festen Schnee unter den Sohlen
knirschen machte, noch belebt, wie sonst kaum am hellen Mittag, alle Läden
erleuchtet, und aus den Häusern hüben und drüben schimmerte und
glitzerte die Pracht der lichterfunkelnden Christbäume, da zu dieser
Stunde die Bescherung überall im vollen Gange war. Fritz Hartlaub hielt
sich aber damit nicht auf, die Ausstellung hinter den Schaufenstern zu mustern,
oder gar durch die Scheiben der Erdgeschosse in die Familiengeheimnisse
fröhlicher Menschen hineinzuspähen. Sein Bäumchen fest vor sich
her tragend, die Nase im Mantelkragen, schritt er taktmäßig in
seinen Gedanken dahin, die linke Faust in die dicke Mantelfalte
eingewühlt, da der Frost ihm ein Gefühl verursachte, als ob die
Spitzen der drei abgeschossenen Finger ihm absterben wollten. Obwohl heut
Jedermann mehr als sonst mit sich selbst zu tun hatte, blieb doch Mancher
stehen und sah der mächtigen Soldatenfigur nach, die um Haupteslänge
die Meisten überragte und so tiefsinnig das bunte, mit Goldpapierketten
und Kerzchen prangende Weihnachtsbäumchen dicht vor die Brust hielt, als
präsentiere er damit das Gewehr vor dem Christkindchen selbst.
Er dachte sich Nichts dabei, dass er an der nächsten Ecke in die
Lilienstraße einbog. Er hätte auch ein paar Straßen weiter
"rechtsum" machen können, ohne den nächsten Weg nach dem
Friedhof zu verfehlen. Aber er wich um so früher dem Ostwind auf, der ihm
durch den dicken Handschuh schnitt; und warum sollte er die Lilienstraße
meiden, die ihm nichts zu Leide getan hatte? Es war eine stille,
anständige Straße, obwohl nur kleine Leute darin wohnten. Aus einem
Hause hörte er Gesang; Kinder standen um den Weihnachtsbaum und sangen ein
Lied, dass sie in der Schule gelernt hatten. Das könnten meine Mädel
jetzt auch, wenn die
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