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Das
Heimchen am Herde
Zweites
Gezirpe.
Weihnachtserzählungen
von Charles Dickens - Seite 11
Übersetzer: Richard Zoozmann
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Kapitelanfang der Weihnachtserzählung ]
Genuss auf Erden zu sein, in einem Wagen fahren zu dürfen; wenn sie das
konnte, waren ihre kühnsten irdischen Wünsche gekrönt. Das
Wickelkind auch nicht, das will ich beschwören; denn es liegt nicht in der
Natur eines Wickelkindes, wärmer zu liegen und gesünder zu schlafen,
als dem lieben kleinen Peerybingle auf dem ganzen Wege begegnete, obwohl die
kleinen Wickelkinder in dieser Beziehung ganz absonderliche Fähigkeiten an
den Tag legen.
Natürlich konnte man in dem Nebel nicht weit sehen; aber man konnte
dafür viel sehen, unendlich viel! - es ist merkwürdig, wie viel man
selbst noch in einem weit dichteren Nebel, als dieser war, sehen kann, wenn man
sich nur die Mühe nehmen will, danach umzublicken. Ja selbst die
Beobachtung der Elfenringe in den Feldern und der Flecken von Reif, die noch an
Hecken und unter Bäumen im Schatten lagen, war eine angenehme
Beschäftigung - der unerwarteten possierlichen Gestalten gar nicht zu
gedenken, in denen die Bäume aus dem Nebel hervortraten und sich wieder
darin versteckten.
Die Hecken waren alle kahl und kraus und wogten im Winde wie eine Reihe
verwelkter Kränze; aber es lag durchaus nichts Trauriges, Entmutigendes
darin, sondern war vielmehr gar lieblich anzuschauen, denn es machte für
jetzt das warme Eckchen am Kamin um so traulicher und den künftigen Sommer
um so grüner und hoffnungsvoller. Der Fluss war zwar frostig anzuschauen,
aber er zeigte doch Bewegung und rauschte mit raschen Schritten dahin, und das
war schon viel.
Der Kanal war dafür eher träge und langsam, das musste man zugeben;
es schadete aber nichts, denn dafür überfror er auch um so rascher,
sobald Frost eintrat, und dann gab's Schlittern und Schlittschuhlaufen auf dem
Eise den lieben langen Tag, und die schwerfälligen alten Barken und
Flussschiffe, die eingefroren am nächsten besten Landungsplatze lagen,
ließen dann ihre eisernen, rostigen Kamine den ganzen Tag rauchen und
hatten eine müßige, faule Zeit.
Auf einer Stelle am Wege brannte ein großer Haufen von Binsen, Unkraut
oder Stoppeln, da konnte man das Feuerchen beobachten, das im Tageslicht so
weiß durch den Nebel schien und nur da und dort rote Funken sprühen
ließ, bis Miss Döskopp zu husten anhub, weil sie Rauch geschluckt
habe, wie sie vorgab (sie konnte überhaupt bei der geringsten Veranlassung
in eine derartige Lungenbewegung ausbrechen), und das Kind aufweckte, dass nun
nicht wieder einschlafen wollte. Boxer aber, der dem Wagen um eine Viertelmeile
etwa vorangeeilt war, hatte schon das Weichbild der Stadt überschritten
und die Ecke des Gässchens erreicht, in dem Kaleb und seine Tochter
wohnten; und lange bevor der Wagen mit seiner teuern Fracht bei dem
Häuschen ankam, wartete er schon mit dem blinden Mädchen auf dem
Pflaster vor dem Hause, um seine Herrschaft zu bewillkommen.
Boxer hatte, beiläufig gesagt, seine eigenen zartfühlende Weise, mit
Berta zu verkehren, aus der ich zufällig schließe, er müsse
gewusst haben, dass sie des Gesichtssinnes beraubt sei. Er suchte nämlich
ihre Aufmerksamkeit niemals dadurch auf sich zu ziehen, dass er sie anblickte,
wie er es meist bei andern Leuten zu tun pflegte, sondern er berührte sie
beständig oder gab sich ihr wenigstens durch Laute zu erkennen.
Ob er sich diese Erfahrung je an blinden Hunden oder blinden Leuten erworben,
vermöchte ich wahrlich nicht zu sagen. Soviel ist gewiss, er hatte nie
einen blinden Herrn gehabt; auch war weder Mr. Boxer der Vater, noch Mrs. Boxer
die Mutter, noch irgend ein anderes Mitglied seiner Familie von beiden Seiten
her mit Blindheit behaftet gewesen, soviel ich weiß.
Er mag vielleicht selbst auf diese Entdeckung gekommen sein, vielleicht hat sie
sich auch ihm nur als Bemerkung irgendwo aufgedrängt: soviel ist aber
jedenfalls gewiss, dass er sie sich zu Nutze gemacht hatte, und darum hielt er
auch Berta an einem Zipfel ihres Kleides fest und ließ sie nicht eher
los, als bis Mrs. Peerybingle mit dem Kleinen und Tilly Döskopp mit dem
Proviantkorbe wohlbehalten ins Haus gelangt waren.
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